Räuber und Poli in der Stadt Zürich: Velofahren provoziert die Staatsgewalt und führt zu willkürlichem Verhalten der Stadtpolizei Eine Woche war notwendig, um das Erlebte vom Freitag, 29. Mai 2020 einzuordnen. Am Ende der zweiten Etappe der schrittweisen Lockerung der COVID-19-Massnahmen kam es in der Stadt Zürich zu mehreren Wegweisungen und Verzeigungen von einzelnen Velofahrer*innen durch die Stadtpolizei Zürich. Diesen Velofahrer*innen wurde zur Last gelegt, kritische Einzelteile der Critical Mass zu sein. Der Zusammenhang zwischen COVID-19, dem Velofahren und den kritischen Einzelteilen ist mir bis heute nicht klar. Doch die Stadtpolizei beschlagnahmte Fahrräder und Veloanhänger, kontrollierte Radfahrer*innen und brachte vereinzelte aufs Polizeirevier, legte ihnen Handschellen an oder verwies sie der Stadt oder des Quartiers mittels Rayonverboten. Was ihnen allen zur Last gelegt wird: Velofahren in kleinen Gruppen bis maximal 5 Personen an einem schönen Sommerabend. «Was ist die Critical Mass?» Doch von Anfang an. Seit geraumer Zeit findet jeden letzten Freitag im Monat weltweit die sogenannte Critical Mass statt. Es handelt sich dabei um eine unorganisierte, lose Bewegung von Menschen, welche gerne Radfahren. Bekannt sind jeweils das Datum und die Uhrzeit des Treffpunktes. Alles andere ist Zufall. Die Velofahrer*innen bewegen sich dabei als sogenannte kritische Einzelteile auf den Strassen – wie beispielsweise Autos, Motorfahrräder oder Fussgänger*innen dies ebenso tun. Dieser letzte Freitag im Monat Mai war ein spezieller Freitag: Die Schweiz befand sich mitten in der Lockerung der Massnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Epidemie an diesem Pfingstwochenende. Die warmen Temperaturen und die fehlenden Ausreisemöglichkeiten führten dazu, dass sich auf vielen öffentlichen Plätzen Menschen in 5er- (oder grösseren) Gruppen aufgehalten haben. «Engagierte Prävention um Räuber und Poli zu verhindern.» Im Vorfeld dieses Freitags suchte das sogenannte Antirepressionsteam, bestehend aus kritischen Einzelteilen, welche sich freiwillig für einen reibungslosen Ablauf der Velofahrer*innentreffen engagieren, den Austausch mit dem Einsatzleiter der Stadtpolizei Zürich. Ziel war es diesen Freitag, mit Einhaltung der COVID-19 Vorgaben des Bundesrates, in der Stadt Velofahren zu können. Rasch war klar, dass maximal 5 Personen miteinander fahren konnten. Das war nichts Neues, sondern einfach der Alltag von Velofahrer*innen während COVID-19. Da bewegen sich Menschen zufällig gemeinsam auf dem Rad in eine Richtung fort und achten darauf, dass sie einander nicht zu nahekommen. Der Austausch mit der Stadtpolizei verhärtete sich im Vorfeld zunehmend und das Antirepressionsteam wurde vom Einsatzleiter aufgefordert zu organisieren, dass alle Velofahrer*innen an diesem Freitag zuhause bleiben. Wie sollte eine solche Forderung zu begründen sein? Besteht ein Zusammenhang zwischen COVID-19 und Radfahren? Eine rechtliche Grundlage hierfür lag nicht vor, da wir in der Schweiz glücklicherweise keine Ausgangssperre verordnet erhalten haben. Ab da nahmen die Dinge ihren unschönen Lauf. «Was ist passiert?» Zwischen 18 und 19:30 Uhr trafen sich in der Innenstadt mehrere Velofahrer*innen zu kleinen Grüppchen von maximal 5 Personen. Einige brachten Boom Boxen oder dekorierte Veloanhänger mit. Zufrieden radelten sie unabhängig voneinander durch die schöne Innenstadt. Nur eins hatten sie manchmal gemeinsam – sie hörten dieselbe Musik. In seltenen Fällen trafen weitere Velofahrer*innen, welche sich zufällig im Verkehr bewegten, auf diese Grüppchen – kein Wunder bei diesem lauen Frühsommerabend am Pfingstwochenende. Es wurde durch die Stadt geradelt und Musik gehört. Auffallend war nur die hohe Polizeipräsenz in der gesamten Innenstadt. Kurz vor 21 Uhr kippt die Stimmung, dieses ruhige Velofahren in der Innenstadt schien zu viel für die Polizei und sie zeigte ein zunehmend aggressives Verhalten den Radfahrer*innen gegenüber: Velofahrer*innen in kleinen Gruppen bis maximal 5 Personen wurden auf der Strasse durch die Stadtpolizei gestoppt, manche kontrolliert, einigen wurde Rayonverbot auferlegt, je nach Polizist*in für 12 – 24 Stunden. Ein Radfahrer erhielt Handschellen angelegt für das Fahren eines unüblichen Rads, welches sich nicht auf Anhieb als strassengesetzkonform identifizieren lassen konnte. Veloanhänger wurden konfisziert und aufs Polizeirevier gebracht. Kastenwagen fuhren velofahrenden Zweiergruppen hinterher und Verzeigungen und Bussen wurden wegen Velofahrens gegen Radler*innen ausgesprochen. Dabei beurteilte die Polizei willkürlich Velofahrer*innen nach ihrem Aussehen, um sie als kritische Einzelteile fremd zu definieren. Dabei kam es gar zu diskriminierendem und schikanierendem Verhalten seitens der Polizei: Ein Polizist lachte über den ausländisch klingenden Nachnamen eines Radfahrers und ein anderer bezeichnete einen Velofahrer als Goofy. Die Polizei schien Gefallen daran gefunden zu haben an diesem schönen Freitagabend mit den Velofahrer*innen Räuber und Poli zu spielen. Einigen Velofahrer*innen wurde das Verhalten der Stadtpolizei zu gefährlich, zu riskant und zu unkontrolliert. Sie fuhren nach Hause. Andere wiederum liessen sich nicht beeindrucken und fuhren weiter in ihren Kleingrüppchen von maximal 5 Personen. Kreuzten sich Grüppchen, winkten sie sich gerne mal erfreut zu. Die Zeit schritt voran und plötzlich war Mitternacht und somit Samstag. Ein Samstag, der vorfreudig herbeigesehnt wurde – endlich durften sich auch mehr als 5 Menschen nach den Vorgaben des Bundesrates treffen. Ab Samstag wurde es möglich sich mit bis zu 30 Personen zu treffen. Und so trafen sich kritische Einzelteile in der Stadt und fuhren gemeinsam noch eine weitere Runde mit den verbliebenen Fahrrädern. Es ist zu betonen, dass hierbei die Vorgaben des Bundesrates von 30 Personen nie überschritten wurde. Etwas übermütig nahm die kleine Gruppe von rund 20 Velofahrer*innen Fahrt Richtung Hardbrücke auf. Auf der Hardbrücke kam es zu einem hässlichen Zwischenfall. Die Polizei näherte sich mit Blaulicht der Gruppe Radfahrer*innen. Diese wich zur Seite auf eine Spur und die Situation eskalierte. Darauf folgten aggressive Autofahrer*innen, welche zum Überholen auf der zweiten Spur ansetzten. Aus diesen Autos wurde eine Glasflasche einem Radfahrer an den Kopf geworfen und ein anderer wurde mit Pfefferspray besprüht. Die Polizei stoppte darauf die Radfahrergruppe und kontrollierte diese. Die Täter*innen in den Autos konnten unbehelligt von Dannen ziehen. Einige Radfahrer*innen schrien umher, andere weinten. Es ist hervorzuheben, dass sich die Polizei auf die Kontrolle der gestoppten und geschockten Radfahrer konzentrierte. Den leichtverletzten Radlern wurde keine erste Hilfe geleistet. Erst nach dem Eintreffen einer Pflegefachfrau, welche die Situation beobachtete, wurden seitens der Polizei Tipps abgegeben, wie Pfefferspray aus den Augen gewaschen werden kann. Mindestens ein Radfahrer wurde auf die Polizeiwache mitgenommen währenddem die Täter*innen über alle Berge waren. «Gedanken dazu» Auch Polizisten sind Menschen, Menschen welche Fehler begehen. Allerdings ist in diesem Bericht das Macht- und Kräfteverhältnis zwischen Polizisten und Radfahrer*innen, zwischen Berufs- und Zivilpersonen, zu beachten. In den geschilderten Situationen kam es zu vielen Provokationen der Radfahrer*innen durch die Polizei. Es scheint fast so, dass das fehlende Fehlverhalten der Radler*innen die Polizei so sehr provozierte, dass sich diese zu Fehlverhalten genötigt fühlte. Hier sind nun Massnahmen gefordert. Einerseits ist nun eine Entschuldigung gegenüber jedem einzelnen betroffenen Radfahrer und jeder einzelnen betroffenen Radfahrerin, sowie allen Velofahrer*innen im generellen seitens der Polizei zu erbringen. Andererseits müssen diese Vorfälle analysiert und reflektiert werden, um sicher zu stellen, dass kein weiterer Polizeieinsatz so sehr aus dem Ruder läuft, dass er wie aus dem nicht-demokratischen Ausland erscheint. Ich als begeisterte Velofahrerin sehe mich nach dem Bericht der Stadtpolizei zum Einsatz am Freitagabend, welcher die Geschehnisse in einem konträren Licht erscheinen lässt, aufgefordert, die Sichtweise einer Velofahrerin zu veröffentlichen. Dieser Text wurde von einem kritischen Einzelteil am 5.6.2020 in einem öffentlichen Telegram-Chat geteilt.
2 Comments
8/6/2020 21:48:44
Keep on riding criticals !
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TH
27/6/2020 11:02:38
Das Verhalten der Stadtpolizei war in manchen Fällen sicher nicht korrekt. Besonders auf dem General-Guisan-Quai (Brücke)!!
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